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Äpfel, Ernte und Verarbeitung – der lange Weg zum Calvados
Die Normandie ist geprägt von der Nähe zum Meer, von einer beständigen Brise und einem über das Jahr erstaunlich kontinuierlichen Klima. Große Wetterextreme in Bezug auf Temperatur und Niederschläge sind selten. Die milde, feuchte Luft ist ideal für den Anbau von Obst. Dass in dieser Region bereits seit vorchristlicher Zeit Birnen und Äpfel kultiviert werden, darf daher nicht verwundern. Was man beim Anbau von Äpfeln und Birnen bis zum Cidre, der letzten Stufe vor der Destillation, alles beachten muss, dass erklären wir Ihnen in diesem Beitrag.
Die Herstellung von Calvados ist eine Kunst, das Geschick und Wissen erfordert. Das Handwerk haben die großen und kleinen Brennereien der Region von Generation zu Generation weitergegeben und immer weiter vollendet. Auch wenn die Normandie und ihre Menschen miteinander verwurzelt sind, haben sich doch über die Jahrzehnte einige Neuerungen durchgesetzt. Den langen Weg vom Pflanzen der Apfel- und Birnenbäumen bis zur Ernte und Verarbeitung der Äpfel und Birnen wollen wir hier gemeinsam beschreiten.
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Hautes Tiges oder Basse Tiges – wie weit fällt der Apfel vom Stamm?
Die beiden Begriffe Hautes- und Basse-Tiges stehen für zwei gegensätzliche Plantagen-Philosophien. Während die klassische Hautes Tiges dem Bild einer traditionellen, romantischen Streuobstwiese entspricht, ist die Basse Tiges Plantage eine Hommage an Effizienz und Ökonomie. In einem Geflecht aus A.O.C. Regularien werden Tradition und Moderne im Calvados untrennbar miteinander verwebt und sorgen durch Mindestquoten für den Erhalt der traditionellen Obstplantagen.
Hautes Tiges – hoher Stamm
Der klassische Apfelbaum wächst hoch hinaus und wächst nicht selten bis zu 15 Meter in den Himmel und wird trotzdem noch überragt von bis zu 18 Meter hohen Birnbäumen. Die Kronen laden weit aus und spenden unter ihrem Dach im weiten Umkreis Schatten.
Das Bild einer Streuobstwiese mit verstreuten, knorrigen Obstbäumen prägt nicht nur in der Normandie den Charakter der Landschaft. Die Plantagenform ist ein Überbleibsel vergangener Zeiten, in denen nicht alles spezialisiert wurde und alles immer effizienter werden musste. Abgesehen davon, dass es keine Maschinen für den Einsatz in den Plantagen gegeben hat, hat die raue und unerbittliche Natur die Bewohner der Normandie zur vielfältigen und umfassenden Nutzung der Landschaft gezwungen.
So wurden und werden oft noch heute die Grasflächen unter den Haut Tiges als Weideland für Schafe und Kühe verwendet, welche damals wie heute sowohl den Schatten als auch den Regenschutz unter den Kronen der Bäume stets dankend annehmen.
Nach der Obsternte wurden im Herbst die Weidetiere erneut über die Flächen getrieben, damit nicht ein übersehenes Fallobst den Sommer umsonst am Baum heranreifte. Wären die Bäume auf diesen Plantagen so kleinwüchsig wie in den Basse Tiges Plantagen geblieben, die Schafe und Kühe hätten sich schon im Sommer am reich gedeckten Tisch bedient und nicht viel für die Herstellung von Calvados übrig gelassen.
Auf einer Hautes Tiges Plantage wachsen maximal 280 Bäume je Hektar, davon bis zu 40 Birnenbäume. Ein Baum trägt selten mehr als 120kg an Früchten, mithin ist eine Ernte von bis zu 30 Tonnen je Hektar ein selten erreichtes Optimum.
Die erste Ernte von einem Hautes Tiges Baum darf man nach 7 Jahren einfahren, aber erst nach 15 bis 20 Jahren erreicht der Baum sein volles Potential. Die tatsächliche Erntemenge hängt extrem von Witterung und Klima ab. Späte Fröste können die Erntemenge im Herbst mehr als halbieren. Ein Hautes Tiges Apfel- oder Birnenbaum wird gut 70 Jahre alt.
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Quelle: idac
Basse Tiges – niedriger Stamm
Auf einer Basse Tiges Plantage stehen bis zu 1.000 Bäume je Hektar und damit glatt viermal so viele auf einer klassischen Obstbaumwiese. Die Bäume mit den kurzen Stämmen stehen in Reih und Glied und sind so leichter zu pflegen, zu bearbeiten und zu ernten.
Der Plantagen-Baum verästelt sich bereits in einer Höhe von einem halben Meter und seine Krone wird nur selten bis zu sechs Meter hoch. Die erste Ernte kann bereits nach drei Jahren eingefahren werden, wenngleich die volle Ertragskraft erst mit einem Alter von fünf bis acht Jahren erreicht wird. Obwohl ein Basse Tiges Baum nur etwa 40kg Früchte trägt, ist der Ertrag je Hektar durch die Pflanzdichte und die leichtere Ernte doch um bis zu 30% höher. Sein Lebensende erreicht ein Basse Tiges Apfel- oder Birnenbaum mit etwa 30 Jahren.
Solange der Bedarf an hochwertigem Obst hoch ist und die Ernte witterungsbedingt kontinuierlich eingefahren werden kann, sind aus wirtschaftlicher Sicht die Basse Tiges Plantagen eindeutig vorzuziehen.
Seit den 1980er Jahren hat diese Plantagenform mehr und mehr Verbreitung gefunden. Sollte die Nachfrage nach Calvados aber eines Tages wieder einbrechen oder die Ernte durch ein extremes Wetterereignis vernichtet werden, so sind die Plantagen mit den Basse Tiges Bäumchen praktisch nutzloses Ödland, auf dem man nicht mal seine Schafe weiden kann, ohne dass die Tiere die Bäume anknabbern.
Auch wenn Basse Tiges und Hautes Tiges den Gegensatz von Tradition und Moderne sinnbildlich widerspiegeln, stehen sich die beiden Anbaumethoden doch nicht konträr gegenüber. Bei der Herstellung von Calvados findet entsprechend den gesetzlichen Regularien eine gesunde Mischung von Obst beider Plantagen-Philosophien Verwendung. So bewahrt der Calvados seinen traditionellen Charakter ohne sich der Modernität zu verschließen.
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Quelle: idac
Die Ernte
Der Höhepunkt eines jeden Jahres ist für den Obstbauern zweifellos die Ernte. Anders als man denken könnte, werden die Bäume nicht gepflückt sondern fallen reif vom Ast herab ins Gras. Vom Boden werden die Früchte auf Basse Tiges und Hautes Tiges Plantagen mit sogenannten Lesemaschinen eingesammelt. Da die Äpfel und Birnen über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen reifen und man die abgefallenen Früchte nicht solange liegen lassen kann, fahren die Maschinen sämtliche Flächen mehrmals ab.
Die Erntezeit beginnt im Spätsommer des Septembers und endet mit den ersten Nachfrösten im November, aber spätestens Anfang Dezember. Bei der Ernte werden auch durchaus schon die ersten Varietäten von Apfelsorten miteinander vermischt. Ein Calvados besteht stets aus einer Vermischung von mehreren Apfel- und Birnensorten. Die Varietäten von Äpfeln unterscheiden sich nach ihrem Säuregehalt.
- bitter
- bitter-süß
- süß
- herb
Die Kunst der Herstellung von Cidre und später Calvados ist es, durch die Kombination der verschiedenen Geschmacksrichtungen eine gute Grundlage für einen charaktervollen Brand zu schaffen. Ein Calvados wird stets aus mehreren Sorten mit unterschiedlichem Säuregehalt zusammengestellt.
Eine alte Faustformel besagt, dass etwa 40% der Äpfel bitter oder bitter-süß sein sollen, 40% süß und etwa 20% herb. Da der Geschmack der Äpfel sehr witterungsabhängig ist und jedes Jahr großen Schwankungen unterliegt, ist es von Jahr zu Jahr kaum möglich einen identischen Calvados zu produzieren. Deswegen ist ein Calvados mit einer Jahrgangsangabe, also ein Brand dessen Früchte sämtlich im gleichen Jahr geerntet wurden, eine sehr seltene und meist kostspielige Ausnahme.
Die Verarbeitung zum Apfelwein
Nach der Ernte folgt die Verarbeitung der Birnen und Äpfel zu Saft. Diese Verarbeitung besteht aus insgesamt fünf Arbeitsschritten.
- 1. Tri – Sortieren
- 2. Lavage - Waschen
- 3. Broyage - Zerkleinerung
- 4. Cuvage - Gärung
- 5. Pressage - Pressen
Auch wenn die Äpfel direkt bei der Ernte bereits so gut es geht sortiert werden, müssen vor der Verarbeitung noch ein weiteres Mal faule oder anderweitig beschädigte Äpfel und Birnen aussortiert werden. Auch beim Transport tragen die Früchte mitunter einen Schaden davon und sind mit der einsetzenden Fäulnis nicht mehr für die weitere Produktion geeignet.
Hernach müssen die Früchte gewaschen und gereinigt werden, denn bei der Ernte werden auch jede Menge Blätter, Gras und anderes Grünzeug mit eingesammelt.
Die Zerkleinerung der Äpfel geschieht heute durch eine Art Häckselmaschine. Die zerkleinerten Früchte sind beim Pressen ergiebiger als wenn die ganzen Früchte in die Presse gegeben würden. . Die älteste Methode der Zerkleinerung ist eine Art Walzmühle, bei der ein großes Rad aus Stein oder Holz an einer horizontalen Achse durch einen kreisrunden Trog geführt wird. Je nach Betrieb wurde das Rad von Menschenhand oder mit einem Esel oder Pferd angetrieben.
Im Bild sehen wir eine Presse, welche durch ein Gewinde und über einen Hebel einen hohen Druck auf die Früchte ausüben konnte. Dieses Prinzip findet auch heute noch Anwendung, wenngleich die Pressen zumeist hydraulisch betrieben werden. Hydraulische Apfelpressen gibt es sowohl stationär als feste Anlage größerer Betriebe oder mobil als Anbaugerät für Traktoren, mit denen die Inhaber von Hof zu Hof fahren und die Früchte im Lohn auspressen.
Ist der Apfel- und Birnensaft gewonnen, beginnt eine ruhigere Phase. Der Most beginnt in einem natürlichen Prozess durch die Reaktion mit Sauerstoff zu fermentieren. Hefebakterien wandeln Zucker in Alkohol um. Die Zugabe von Reinzuchthefe ist auch der einzig erlaubte Zusatzstoff.
Die Dauer des Prozesses ist abhängig von der Qualität des Saftes und der Temperatur. Cidre, welcher später zu Calvados weiter verarbeitet werden soll, muss mindestens 4,5% vol Alkohol enthalten und muss für Calvados Domfrontais mindestens 30 Tage und für Calvados und Calvados Pays d’Auge mindestens 21 Tage gären.
Aus 18kg Äpfeln werden 13 Liter Cidre mit einem Alkoholgehalt von 5% vol. Aus diesen 13 Litern werden nach der Destillation 1 Liter Calvados mit 70% vol Alkoholgehalt. Welche Besonderheiten es bei der Destillation von Calvados gibt, zeigen wir Ihnen in unserem nächsten Beitrag.
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